Offener Brief an die Sozialdemokratische Partei Deutschland

10. Oktober 2009



Sehr geehrte Damen und Herren,

die SPD strebt bis 2020 Vollbeschäftigung an. Vielen erscheint das utopisch. Unsere „Rostocker Initiative für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft und gegen Müllverbrennung e.V.“ hält diese Zielstellung für umsetzbar, aber dann und nur dann, wenn sich Wirtschafts-, Umwelt- und auch Gesundheitspolitik konsequent auf zukunftsfähigen und vor allem volkswirtschaftliche Kriterien beruhen und nicht – wie bislang – vorrangig die Interessen einzelner Wirtschaftsstrukturen bedienen.

Letzteres beobachten wir in beunruhigendem Umfang im Bereich der Abfall- und Kreislaufwirtschaft. In unvertretbarem Umfang entstehen neue, große Müllverbrennungsanlagen (MVA) in Form von „Ersatzbrennstoff-“ oder „Sekundärbrennstoff-Heizwerken“. Diese Ersatz- bzw. Sekundärbrennstoffe sind nichts weiter als brennbare, relativ heizwertreiche Abfallfraktionen.

Dieser Etikettenschwindel hat weitreichende wirtschaftliche, umweltpolitische und gesundheitspolitische Folgen:

  1. Durch den Ersatz von Kohle, Erdöl oder Erdgas durch Abfall wird unnötig viel CO2 erzeugt, denn der Wirkungsgrad von MVA ist deutlich niedriger als bei Kohlekraftwerken. Dementsprechend mehr Abfall muss verbrannt werden (> als das 2,5fache), um die gleiche Leistung zu erzeugen. Dementsprechend entsteht mehr CO2.

  2. Es bilden sich weit mehr giftige Reststoffe als bei der Verbrennung von Kohle: Als toxisch beladene Schlacken (als Straßenunterbau zugelassen), als hoch giftige Filterstäube (in Bergwerke verbracht) und als Luftbelastungen (durch Rauchgase und Feinstäube). Das Rauchgas enthält einen Cocktail an gefährlichen Substanzen, bestenfalls 20 Prozent davon sind erst bekannt, von der Mehrheit kennt man weder ihr Verhalten in der Umwelt noch ihre Giftigkeit. Nur 12 davon müssen überwacht werden. Der aus den Anlagen stammende, in die Luft abgegebene Feinstaub wird nur als Menge erfasst, seine Beladung mit toxischen Substanzen bleibt völlig unbeachtet.

  3. Die Luftbelastungen haben entsprechende Auswirkungen auf die Gesundheit nicht nur der unmittelbaren Anwohner. Die Stoffe in der Gasphase und auch die Feinstäube können über weite Strecken verdriften (man erinnere sich an die fast flächendeckenden Funde von Dioxin in Schafslebern oder an die hohen Cadmium-Belastungen in Getreide und Gemüse). Sie sind gesundheitsgefährdender als die Ruß-Feinstäube aus Kraftfahrzeugen, dennoch wird ihnen viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

  4. Die „Heizkraftwerke“ ziehen den Recyclinganlagen den Existenzboden weg. Den modernen Recyclinganlagen beginnen die Ausgangsstoffe zu fehlen. Auf diese Fehlentwicklung wies die Abfallwirtschaft schon vor Jahren hin, aber sie hat keinen Einfluss auf den Bau immer mehr neuer MVA's, denn die werden von den stromerzeugenden Unternehmen errichtet.

    Dabei bringt das Abfall-Recycling alles, was das SPD-Wahlprogramm anstrebt:

    1. Wesentlich mehr Arbeitsplätze als beim Verbrennen,

    2. Deutlich höhere Wertschöpfung,

    3. Energieeinsparungen, weil das Recycling (bei gleicher Endproduktqualität!) viel weniger Energie erfordert als die Erstproduktion des jeweiligen Stoffes,

    4. Weniger Abhängigkeit von Rohstoffimporten

    5. innovative Technologien,

    6. Mehr Gesundheit durch geringere Luftbelastungen.

„Abfall ist der einzige einheimische Rohstoff“, sagt die Abfallwirtschaft, und das schon seit Jahren – aber die Stromwirtschaft vernichtet ihn. An diesem Dilemma tragen die Landesregierungen und auch die Bundesregierung Mitverantwortung, u.a. durch eine sehr großzügige Genehmigungspraxis und die unzureichende Umsetzung von EU-Vorgaben (siehe z.B. Bundesdrucksache 16/7067; BMU-Webseite).

Die Fachbereiche des Bundesumweltministeriums sind seit eh und je sehr verbrennungsfreundlich. Dennoch gibt es uns zu denken, wenn das BMU wenige Wochen vor der Veröffentlichung des Deutschlandplanes und des Regierungsprogramms der SPD einen Standpunkt veröffentlicht, der in wesentlichen Teilen den Wahlprogrammaussagen der SPD – so wie wir sie verstehen – widerspricht: Keine Erhöhung der Grenzwerte von Schadstoffausstößen bei MVA, keinerlei Begrenzung von Abfallverbrennung zugunsten von Recycling, ein erheblicher Anteil der Abgase aus MVA sei sogar klimaneutral usw. usf. (Bundestagsdrucksache 16/13889). Das sind eindeutig schwarz-gelbe Positionen im Interesse der Stromwirtschaft. Macht Herr Gabriel wenige Wochen vor der Bundestagswahl den Clement?

Wird die SPD im Fall eines Wahlsiegs ihre unterstützenswerten Positionen hinsichtlich Technologiefortschritt, sparsamen Rohstoffeinsatz, Energieeinsparungen, Klimaschutz, Arbeitsplätze, Gesundheitsvorsorge – kurzum Nachhaltigkeit - auch im Bereich der Abfallwirtschaft konsequent umsetzen oder eher die Bürger wie auch die Abfallwirtschaft im Regen stehen lassen - zugunsten schwarz-gelber Interessen?

Eine klare Antwort auf diese Frage ist nicht nur für unser Rostocker Bündnis, sondern auch bundesweit für viele engagierte Bürger wichtig, um am 27. September die richtige Wahl zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen



Dr. med. Marcus von Stenglin

Rostocker Initiative für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft und gegen Müllverbrennung e.V.

Laurembergstr. 24, 18059 Rostock

www.rostock-mva.de; recycling-rostock@freenet.de