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Stinkt es oder stinkt es nicht? Es wird nicht stinken! So ist ein Interview in der OZ vom 11.2.08 mit Prof. Dr. Nelles, Leiter des Lehrstuhls für Abfall- und Stromwirtschaft an der Rostocker Uni, überschrieben. So ist auch die Aussage des Professors im Interview selbst. Nun ist es leicht, eine Aussage zu widerlegen, die niemand gemacht hat. Dazu muss man nicht einmal eine akademische Autorität bemühen. Im Gegenteil: Wir alle wissen, man kann es nicht riechen, schmecken, hören, fühlen oder sehen. Aber -und das wissen noch nicht alle - es ist da! Und es wirkt. Deshalb ist das Thema auch nicht „aus wissenschaftlicher Sicht erledigt“, wie der Professor sagt. Weder aus technologischer noch aus medizinischer Sicht, ganz im Gegenteil: Erst vor wenigen Jahren wurde die Dimension der Feinststaubproblematik erkannt. Durch Rauchverbote und Rußfilter versucht man die Gesundheitsgefährdung durch das Einatmen belasteter Luft zu verringern. Aber was ist eine Zigarette gegen den Feinstaubausstoß einer Abfallverbrennungsanlage (AVA) oder eines anderen industriellen Verschmutzern? „Heute haben wir strenge Grenzwerte“, sagt der Professor. Es ist richtig, daß in der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) Grenzwerte für insgesamt 12 Stoffe bzw. Stoffgruppen definiert sind und auch von den AVA's eingehalten werden müssen. Aber ebenso richtig ist, daß die 17. BImSchV die Grenzwerte vom technisch Machbaren ableitet und nicht von der Gesundheitsgefährdung! Zudem wurde sie bereits vor 17 Jahren erlassen, bezieht sich also in wesentlichen Punkten auf den Stand der Technik vor 17 Jahren. Derzeit wird an einer Überarbeitung der Grenzwerte gearbeitet. In wenigen Jahren wird eine Anlage wie die in Rostock nicht mehr genehmigungsfähig sein. Wie kann also das Thema „wissenschaftlich erledigt“ sein? Bei der Verbrennung des heterogenen Abfalls (er bleibt auch bei Vorschaltung einer mechanisch-biologischen Anlage (MBA) noch sehr heterogen) entstehen natürlich viel mehr als nur 12 Stoffe/Stoffgruppen. Viele sind nicht einmal chemisch identifiziert. Sie entwichen unkontrolliert aus dem Schornstein. Zigarettenrauch, sagen die Fachleute, enthält rund eine Million unguter chemischer Verbindungen. Dabei ist das Ausgangsprodukt Tabak relativ homogen. Wieviel Verbindungen entstehen bei der Verbrennung von Abfall? Die Bevölkerung, sagt der Professor, „muss sich keine Sorgen machen. Sämtliche Schadstoff-Immissionen... liegen im sogenannten Irrelevanzbereich“. Irrelevant (unbedeutend) in bezug auf was? Natürlich in bezug auf die BImSchV-Grenzwerte, also auf das (vor 17 Jahren!) technisch Machbare, aber nicht in bezug auf die Gesundheitsgefährdung atmender Organismen. „Tod vom Allerfeinsten“ lautet dementsprechend der Titel einer Publikation aus dem Jahr 2005 zur Ökotoxikologie von Feinstäuben. Und bereits 2000 stellte das Öko-Institut e.V. in seinem KGV-Rundbrief fest, „die derzeitige Entwicklung hin zu Billiganlagen mit relativ einfacher Abgasreinigungstechnologie ist daher äußerst fragwürdig und führt zu einem Rückschritt in der Entwicklung moderner thermischer Behandlungsanlagen für Restmüll...“ Wissenschaftlich erledigt? Gibt es Alternativen? Professor Nelles sagt, „in Deutschland stehen zwei Optionen zur Verfügung. Einmal die klassische Abfallverbrennung und auf der anderen Seite die Kombination der MBA mit energetischer Verwertung“. Wieso „in Deutschland“? Ist der Umgang mit Müll nicht ein weltweites Problem? Und wieso reduziert der Professor die Müllverwertung ausschließlich auf klassische Verbrennung? In Schwarze Pumpe läuft die Müllvergasung seit vielen Jahren problemfrei (siehe die EcoLogic-Studie von 2003 für das Umweltbundesamt und aktuell „energy 2.0, Heft 01/2008). Ganz abgesehen von alternativen Verfahren wie der Depolymerisierung (Gewinnung von Kraftstoffen) bzw. dem Kryo-Recycling. Sie könnten längst am Markt etabliert sein, wenn die Müll-Lobby es nur wollte, stattdessen stagnieren sie auf dem Niveau großtechnischer Versuchsanlagen. „Im Bereich Abfall sind wir sehr sensibel und das ist gerechtfertigt“, sagt der Professor. Wir stimmen ihm gerne zu. Doch leider fährt er fort: „Es sollte aber nicht übertrieben werden“. Da bleibt zu fragen, was Übertreibung sein könnte. Das Wissen um den Feinstaub, dessen Partikel so klein sind, daß sie beim Einatmen über die Lunge direkt ins Blut und über das Blut direkt an alle lebenswichtigen Organe gelangen? Das Wissen, daß an diesen Partikeln gesundheitsgefährdende Stoffe haften? Das Wissen, daß für Langzeitwirkungen kleinste Mengen ausreichen, die oft genug von den gängigen Meßverfahren nicht erfaßt werden können? Oder das Wissen, daß es ja schon „Vorbelastungen“ durch das Steinkohlekraftwerk und auch den Schiffsverkehr gibt (mit der letztgenannten und sehr ernst zu nehmenden Quelle von Luftbelastungen beschäftigten sich unlängst zwei Fachtagungen, aber nicht in Rostock, sondern in Bremen und Lübeck)? Schadstoffwirkungen addieren sich bekanntlich nicht, sie potenzieren sich! Oder das Wissen, daß in der heutigen Zeit drittmittel- und anders finanzierter Forschungen es schwer fällt, einer einzigen Autorität zu glauben. Dr. Wolfgang Schmidtbauer überschrieb einen Artikel über die oft höchst widersprüchlichen Ergebnisse wissenschaftlicher Aussagen mit „Forschung als Maskenball“. Er zitiert dabei auch eine Satire von Karl Kraus: Eine Firma beauftragte einen ausgewiesenen Fachwissenschaftler, die Wirkung eines Produktes auf Mehlwürmer zu untersuchen. Im Ergebnis teilte der Fachmann mit, daß das exakt geprüfte Mittel hervorragend zur Mast von Mehlwürmern geeignet sei. Dem Autor der Studie war versehentlich nicht mitgeteilt worden, daß das von ihm untersuchte Pulver als Mehlwurmgift vermarktet werden sollte. Da kam ein Wanderer des Wegs und fragte: „Aber hier geht es doch gar nicht um Mehlwürmer - oder?!“
Rostocker Initiative für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft und gegen Müllverbrennung e. 25.02.2008 |