Offene Fragen zum Störfall in der Stavenhägener MVA

Aus den Pressemeldungen in den Regionalzeitungen vom 22./23.06.2011 sowie vom 02./03.07.2011 ergeben sich viele offene Fragen zu dem Störfall in der Stavenhägener Müllverbrennungsanlage mit Freisetzung einer großen Aschewolke:


  1. Amtliches Störfallmanagement

    1. Warum hat der Landrat keine gesundheitshygienischen Sondermaßnahmen eingeleitet, obwohl der Betreiber empfohlen hatte Obst und Gemüse aus den Gärten vor dem Verzehr gründlich zu waschen bzw. Erdbeeren und Salat vollständig zu entsorgen und die labortechnischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen waren?

      Nach einem effizienten Havarieplan ist mindestens bis zum Abschluss der labortechnischen Untersuchungen von der Notwendigkeit gesundheitshygienischer und weitreichender umwelthygienischer (Abtragung von kontaminierten Material) Sondermaßnahmen auszugehen und dies auch auszusprechen.

    2. Warum wurde diese Verantwortung bei einem derartigen akuten Zwischenfall und bei einem grundsätzlichen hohen Zwischenfallspotential in einer Müllverbrennung von dem Landrat und den zuständigen Überwachungsbehörden nicht wahrgenommen?

    3. Wie werden die langfristigen Gefährdungspotentiale durch den Landrat und die zuständigen Überwachungsbehörden zukünftig von den Bürgern, den landwirtschaftlichen Betrieben und den Lebensmittel verarbeitenden Betrieben sowie vom Tourismus abgewehrt?

    4. Wie konnten so unprofessionelle Empfehlungen wie „Abkärchern“ bzw. „spatentief umgraben“ ausgesprochen werden?

      Die Empfehlungen des Betreibers (nach den Pressemitteilungen), die betroffenen Schadstoffschichten abzukärchern, zeugt von Hilflosigkeit und Unprofessionalität. Ebenso werden durch die von den „Umweltexperten“ empfohlene Maßnahme zum „Umgraben“ die Schadstoffe in den Boden verteilt. Gleichzeitig lässt sich hieraus auch ein gewisses Schuldeingeständnis ableiten. In diesem Zusammenhang scheint nach den Pressemitteilungen die Abtragung von kontaminierten Bodenschichten und „abgewaschenen“ Staubschichten unerlässlich zu sein. Nur durch eine solche Maßnahme hätte das belastete Material sicher beseitigt und als Sonderabfall entsorgt werden können.

    5. Warum wurde von den Aufsichtsbehörden nicht umgehend im Sinne des „vorbeugenden Verbraucherschutzes“ (Gesundheits- und Umweltschutzes) die Abtragung der belasteten Staubschichten und die Entsorgung als Sondermüll angeordnet?

    6. Warum haben alle Behörden und z. T. der Betreiber „auf Zeit gespielt“ und es zugelassen, dass durch die Wetterlage der Staub-/Schadstoffniederschlag in den Boden eingewaschen werden konnte?

    7. Wie unabhängig sind die zitierten „Umweltexperten“ (??) und das beauftragte Labor in Greifswald?

    8. Wer hat den Untersuchungsplan und den Umfang für die amtlichen Untersuchungen festgelegt?

    9. Wo wurden die Proben für die amtliche Überwachung entnommen? Ist geplant, Verlaufsproben zu entnehmen?

    10. Welche Grenzwerte gibt es für Aschewolken? Hinsichtlich der Grenzwerte ist die Frage zu beantworten: Auf welches „Bezugssystem“ sich diese beziehen („Aschewolke“, Staub, Luft, Boden Lebensmittel)? Außerdem ist zu klären für wen / wofür diese Grenzwerte Schutz bieten (z. B. für den weiteren Betrieb der Anlage oder für den Gesundheits- und Umweltschutz).

    11. In den erfolgten Untersuchungen wurde von dem, durch den Betreiber beauftragten, Labor ein erhöhter Dioxinwert festgestellt (OZ vom 02./03.07.2011).

      Welche Maßnahmen hat die Überwachungsbehörde auch vor dem Hintergrund des Minimierungsgebotes bezüglich dieser Dioxinwert-Überschreitungen für die betroffenen Flächen nun angeordnet?

  2. Umweltmonitoring / Humanbiomonitoring

    1. Existiert ein Havarieplan? Welchen Umfang haben medizinische Untersuchungen der Betroffenen (Humanbiomonitoring) mit Feststellung der Ausgangs- und der Verlaufswerte im Rahmen des „Daseinvorsorge-Grundsatzes“ darin?

    2. Welche Parameter wurden bei den Betroffenen in welchen Untersuchungsmaterialien untersucht? Ist Blut alleine geeignet, die langfristigen Belastungen zu beurteilen?

    3. Warum wurden Untersuchungen erst nach Tagen (Presse) und auf Wusch der Betroffenen angeboten und vorgenommen? Warum wurde hier scheinbar kein unabhängiges Labor von den Überwachungsbehörden sondern vermutlich das „Hauslabor“ der Firma Nehlsen AG beauftragt und genutzt? Oder welchen anderen Grund gab es, die Blutröhrchen aus Bremen zu ordern und gefüllt nach Bremen zu schicken, dem Stammstiz der Firma Nehlsen?

    4. In dem Bereich der niedergegangen Aschewolke muss auch geklärt werden, ob die Schadstoffen durch die Pflanzen und Nutztiere (z. B. im Ei, Innereien) angereichert werden. Wenn ja, dann ist nämlich die Einhaltung von o.g. Schadstoffgrenzwerten kein Entlastungs-Vorhersage-Wert. Daraus lässt sich auch ableiten, dass gesundheitshygienische und weitreichende umwelthygienische Sondermaßnahmen bei einem solchen Störfall auch langfristig weiterhin notwendig sind.

      Welcher Umfang ist für die umwelthygienischen Untersuchungen (Aschewolke, Bodenproben, Niederschlagsprobe, Lebensmittelproben [Pflanzen, Pilze, Wild-Tiere]) vorgesehen?

    5. Ist das Wild der Region als geeigneter „Bioindikator“ in einen amtlichen Überwachungsplan einbezogen?

    6. Welche langfristigen Untersuchungen sind geplant, damit für alle Agrarbetriebe und lebensmittelverarbeitende Betriebe sowie für den Endverbrauchen und die Anwohner sichergestellt werden kann, dass es zu keiner Gefährdung durch die Schadstoffe und durch die Schadstoffakkumulierung in der Nahrungskette kommt?

    7. Welche Sicherheitsgarantien werden den Bürgern, den Agrarbetrieben und lebensmittelverarbeitenden Betrieben für die Zukunft durch die zuständigen Überwachungsbehörden gewährt?

  3. Arbeitsschutz / Technische Sicherheit / Anlagensicherheit

    1. Wie erfolgt die Aufsicht der Wartungsarbeiten durch die Genehmigungsbehörde und die Aufsichtsbehörde für Arbeitsschutz und technische Sicherheit?

    2. Wie wurde für die den störfallverursachende Wartungsmaßnahme der MVA der Mitarbeiterschutz praktiziert und durch die hierfür zuständige Aufsichtsbehörde überwacht?

    3. Welcher zertifizierte Fachbetrieb war mit der Wartung beauftragt?

    4. Gibt es einen Bypass? Oder wie konnte die „Aschewolke“ ohne eine Passage der Filteranlage entweichen?

    5. Welche anderen Betriebsarten gibt es in der MVA, bei der ein Bypass genutzt wird, wodurch die Abluft ohne Filterung entweicht und es zu einer zusätzlichen aber vermeidbaren Belastung der Gesundheit der Bürger und der Umwelt kommt?

    6. Wurde die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für die bisherige Nutzungszeit der MVA seit der Inbetriebnahme über die Anzahl der Betriebszustände im Bypassmodus und das zeitliche Ausmaß informiert?

Nur die ehrliche Beantwortung aller Fragen kann für die Bevölkerung von Stavenhagen und Umgebung hinreichende Sicherheit geben.

 

2011