Panne im Kraftwerk: Giftige Asche fiel wie Schnee vom Himmel

OZ vom 23.6.2011, Seite 7

„In Stavenhagen wurde bei einem Zwischenfall in einer Müllverbrennungsanlage die Umgebung mit schmierigen Rückständen überzogen. Die Anwohner sind beunruhigt

Von Gerald Kleine Wördemann

Stavenhagen — Eine Aschewolke, die aus einer Müllverbrennungsanlage in Stavenhagen (Landkreis Demmin) niedergegangen war, sorgt für dicke Luft. Anwohner haben Angst um ihre Gesundheit und fühlen sich von den. Behörden und dem Betreiber der Anlage allein gelassen. „Man hat uns im Regen. stehen gelassen", sagt Manfred Jennerjahn (63), Der Rentner wohnt mit seiner Frau nur 150 Meter von dem Betrieb entfernt.

Es passierte am Mittwoch vor einer Woche gegen 19.30 Uhr. Die Bewohner der Siedlung bereiteten sich gerade auf den Abend vor, als es plötzlich dunkel wurde. Schwarzbraune Asche fiel vom Himmel. „Das war wie Schnee", berichtet Augenzeuge Jennerjahn. Eine halbe Stunde hielt der Niederschlag an. „Ich bekam sofort ein Beißen im Hals", erzählt der Rentner., Seine Frau, die gerade mit dem Fahrrad nach Hause kam, fuhr mitten durch die Wolke. Etwa ein halbes Dutzend Personen sollen im Freien aufgehalten und die Asche eingeatmet haben.

Als es wieder hell wurde, lag eine schmierige Masse am Boden, einen Korridor von mehreren hundert Metern Länge, beschreibt der Anwohner. Autos, Gärten und Häuser waren mit der dicken Schicht überzogen. Nach Angaben des Staatlichen Amtes für Landwirt­schaft und Umwelt (Stalu) verhin­derte lediglich die Windstille eine noch größere Ausbreitung.

Noch am Abend schickte das städtische Ordnungsamt eine Mit­arbeiterin in di.e Siedlung. Ein Ver­treter der Betreiberfirma Nehlsen. kam ebenfalls vorbei. „Der war völ­lig entsetzt " , berichtet Jennerjahn. Noch am Abend bot das Ordnungs­amt den Anwohnern je 150 Euro Entschädigung für die Reinigung ihrer Autos an. Alle lehnten ab.

Ein Greifswalder Labor unter­suchte die Asche. Ergebnis: Sie enthält giftige Stoffe und Schwermetalle wie Blei, Arsen, Quecksilber und Cadmium. „Die Belastungen sind unterhalb der Grenzwerte", sagt die Stalu-Leiterin Christa Maruschke. Kommende Woche sollen weitere Analyse-Ergebnisse vorliegen. Vier Anwohner seien auf eigenen Wunsch. ärztlich untersucht worden. Wie groß die rausgepustete Aschemenge ist, können weder Stalu noch Betreiber sagen.

Auslöser der Wolke war ein Bedienungsfehler bei Wartungsarbei in einem Kessel, heißt es bei Nehlsen. Sprecher Michael Drost versichert, dass Anwohner zu kein Zeitpunkt gefährdet waren. Obst und Gemüse aus den Gärten sollten vor dem Verzehr gewaschen, Salat- und Erdbeeren möglichst gar nicht mehr gegessen werden. Den Schaden will das Unternehmen ersetzen Zehn Familien sind betroffen. „Die Leute sind sehr verunsichert", sagt Stavenhagens Bürgermeister Bernd Mahnke (parteilos), der den Behörden vorwirft, die Öffentlichkeit zu spät informiert zu haben. „Die Proben wurden erst zwei Tage später genommen" , sagt Anwohner Jennerjahn, „da hatte der Regen schon das meiste wieder weggewaschen". Erst am Dienstag nach dem Vorfall sei eine Amtsärztin gekommen und habe Röhrchen für Blutproben verteilt, Die Ämter hätten weniger für Aufklärung gesorgt als die Firma, meint Jennerjahn.



 

2011