Ludger Rethmann: Es gibt erheblichen Handlungsbedarf auf politischer Ebene

In einem offenen Brief wendet sich der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Entsorgungskonzerns REMONDIS, Ludger Rethmann an Ministerialdirektor Dr. Helge Wendenburg, Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Bodenschutz des Bundesumweltministeriums. Rethmann äußert sich darin zur Lage der Kreislaufwirtschaft in Deutschland, Marktanteilen und möglichen Lösungsansätzen für eine Flexibilisierung der Branche vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Krise auf den Rohstoff- und Entsorgungsmärkten. Grundsätzlich könne man wohl sagen, dass Deutschland seine vorbildlich hohen Recycling- und stofflichen Verwertungsquoten zu verlieren droht, weil es zurzeit kaum noch tragfähige Abnehmermärkte für Sekundärrohstoffe gibt und sich z.B. die Rückgewinnung von Plastikwertstoffen, aber auch das Elektrorecycling etc. wirtschaftlich vielfach nicht mehr lohnen, heißt es in dem Schreiben. Die Politik sei dringend aufgefordert, mahnt Rethmann, das Dilemma zwischen den Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes / Verpackungsverordnung und der gegenwärtig vielfach defizitären Umsetzung durch die Unternehmen der Wasser- und Kreislaufwirtschaft durch entsprechende Maßnahmen aufzulösen. Bereits jetzt gehen viele Unternehmen der Branche in die Insolvenz. Ein Ausfallsicherheitssystem zum Beispiel bei den dualen Systemen existiert aber nicht. Es gibt also erheblichen Handlungsbedarf auf politischer Ebene, will man die Errungenschaften der eigentlich als Exportschlager gepriesenen Kreislaufwirtschaft aufgrund einer länger andauernden und beispiellos tiefen Krise nicht wieder verlieren.

Im Einzelnen heißt es in dem Schreiben, in dem Rethmann Zahlen, die im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht worden sind bzw. die vom Bundeskartellamt bei Anmeldungen angefragt wurden, verwendet: Bei den Marktanteilen im Bereich Erfassung von Hausmüll, Bioabfall, Papier bzw . Leichtstofffraktion ist zu beachten, dass das Bundeskartellamt auch alle Minderheitsbeteiligungen über 20 %, d. h., die Public Private Partnerships (PPP), an denen REMONDIS beteiligt ist, dessen Marktanteil zu 100 % zugeschlagen hat. REMONDIS entsorgt in Deutschland weniger Einwohner mit Mehrheitsbeteiligungen als mit den Minderheilsbeteiligungen, den Public Private Partnerships (PPP). Das Unternehmen beschäftigen so auch mehr Mitarbeiter in unseren Minderheitsbeteiligungen, die dem VKS angeschlossen sind, als Mitarbeiter in Firmen, die dem BDE angeschlossen sind .

In den wesentlichen Aussagen, die das Bundesumweltministerium betreffen, gibt es keinen Unterschied, den wir zwischen BDE und VKS bzw. zwischen unseren Public Private Partnerships (PPP) und unseren klassischen Mehrheitsbeteiligungen ausmachen können. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Verbänden (VKS und BDE) liegen zum einem im Interesse des BDE, dass alle Unternehmen, egal ob kommunal oder privat, sowohl im Abwasserbereich als auch im Abfallentsorgungsbereich den gleichen Mehrwertsteuersatz zu zahlen haben. Unsere Public Private Partnerships (PPP) vertreten im VKS hier keine andere Meinung als der BDE, da sie selbst in der Rechtsform der GmbH Mehrwertsteuer zu entrichten haben. Zum anderen fordern die privaten Verbände BDE etc., dass sich ähnlich wie in Großbritannien auch rein kommunale Unternehmen von Zeit zu Zeit einer Ausschreibung zu stellen haben - so wie es bei privaten Unternehmen und unseren Public Private Partnerships (PPP) der Fall ist bzw. sein wird. Insofern sind nicht alle Mitglieder des VKS gegen eine Angleichung der Mehrwertsteuer ader gegen die Ausschreibung von kommunalen Entsorgungsleistungen. Von den mehr als 100 Public Private Partnerships der REMONDIS-Gruppe in Deutschland ist die Mehrheit Mitglied im VKS, wie z. B. die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) oder die AWISTA Düsseldorf etc., an denen wir eine Beteiligung halten. Insofern sind wir sicherlich mit den Public Private Partnerships, an denen wir beteiligt sind, indirekt der größte Beitragszahler innerhalb des VKS.

Im Hinblick auf meinen letzten Brief zu den Überkapazitäten im Verbrennungsbereich und den in diesem Bereich in Deutschland getätigten Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe, die zu einem Großteil mit Investitionsförderung des Landes bzw. des Bundes getätigt wurden, sind die Interessen des BDE, VKS und der anderen Verbände gleich. In diesem Zusammenhang sei darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur die privaten Betriebe von Fehlkalkulationen im Bereich der Dualen Systeme bzw. in Verbrennungskapazitäten betroffen sind. Als Beispiel möchte ich die Zahlen eines kommunalen Entsorgungsunternehmens aus NordrheinWestfalen nennen, das ein negatives Eigenkapital von - 70 Mio. Euro hat, aktuell eine Verbrennungsanlage in Betrieb genommen hat, die direkt über keine kommunalen Abfälle verfügt, und im Bereich der Dualen Systeme bei der letzen Spotmengenausschreibung zwar viele Aufträge gewonnen hat, aber hier im Ansatz nicht die Vollkosten decken kann.

Diesem Brief habe ich, wie zugesagt, auch die Finanzkennzahlen der großen internationalen als auch deutschen Wettbewerber beigelegt. Dieser Aufstellung können Sie entnehmen, dass die beiden großen amerikanischen Entsorgungsunternehmen noch bei weit über 25 % EBITDA zum Umsatz liegen. Diese beiden Firmen sind im Wesentlichen im Erfassungs- und Deponiebereich tätig - nicht aber im Recyclingbereich und damit nicht abhängig von dem Rohstofferlösen, den Dualen Systemen etc. Ferner übersende ich Ihnen die aktuelle Umsatzentwicklung der DSD GmbH sowie den Bilanzvergleich der Vertragspartner Duale Systeme. Die Umsatzentwicklung der DSD GmbH zeigt, dass zu einem früheren Zeitpunkt bereits dreistellige Millionenverluste verzeichnen worden sind, welche die Entsorgungsbranche damals noch finanzieren konnte. Zu dieser Zeit waren noch mehr als ein oder zwei Entsorgungsunternehmen im Markt vertreten, die dreistellige Millionensummen als Eigenkapital vorweisen konnten, wie z. B. Sulo, Otto, Edelhoff, RWE Umwelt, VEW, U-Plus etc. .. Die Zusammenfassung der Finanzkennzahlen zeigt, dass das heute absolut nicht mehr der Fall ist. Auch zählen die Margen im deutschen Entsorgungsgeschäft im internationalen bzw. europäischen Vergleich zu den schlechtesten.

Zum einen ist dieser Umstand auf die Endbeseitigungskosten zurückzuführen, die vor Einführung der TASi ruinös waren, und heute vor dem Hintergrund der Überkapazitäten wieder auf ein ruinöses Niveau zurückkehren und zum anderen liegt es am Einbruch der Umsätze im Dualen System um über 50 %. Aufgrund unserer Marktkenntnisse gehen wir von 2007 auf 2008 davon aus, dass die DSD GmbH erneut eine dreistellige Millionensumme, ca. 100 Mio. Euro Umsatz, auf ca. 850 Mio. Euro Umsatz verloren hat. Über Rationalisierungsmaßnahmen wie z. B. Einmannlader, Frontlader, bessere Sortieranlagen, leistungsfähigere Anlagen etc. konnte zwar ein Teil dieses Umsatzeinbruches von ca. 50 % aufgefangen werden, aber nicht zu Vollkosten. Da weder Fahrzeuge noch Behälter noch Sortieranlagen eine ewige Nutzungsdauer haben, ist davon auszugehen, dass sich die Sortier- und Erfassungspreise, wie in der letzten Ausschreibung geschehen, unter Vollkosten zukünftig nicht mehr darstellen lassen. Um so gefährlicher ist es, wenn Preise, die bisher bei kommunalen Ausschreibungen gleitend waren, um steigende ÖI-Dieselkoslen oder Tarifanpassungen zu kompensieren, bei zukünftigen Ausschreibungen der Dualen Systeme nicht mehr jährlich angepasst werden sollen. Dieser Punkt kann genauso wenig dargestellt werden, wie gleichbleibende lizenzmengen den Einsammlern/Sortierern über Jahre aufzubürden bzw. Rohstoffkosten über Jahre abzusichern.

In dem eingangs erwähnten Gespräch hatten Sie erklärt, dass in der nächsten LAGA-Sitzung der Einbruch der Papierpreise diskutiert werden soll. Sicherlich ist es bei der momentanen Wirtschaftskrise (Einbruch des DAX, Einbruch der Rohstofferlöse um über 50 % usw.), wie sie es seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben hat, durchaus notwendig, über evtl. Anpassungsmöglichkeiten zu sprechen. Beim Entgegenkommen einer Kommune ist es richtig, dass bei steigenden Papiererlösen die Kommune überproportional partizipieren muss. Meiner Meinung nach wäre es jedoch besser, zukünftig als LAGA sowohl den kommunalen Stellen als auch den Dualen Systemen als Ausschreibungsstelle zu empfehlen, Kosten, wie z. B. ÖI-Dieselkosten oder Tarifanpassungen, einmal jährlich anpassen zu können. Eine vergleichbare Vorgehensweise sollte bei den Rohstofferlösen sowohl im Papier-, Glas- als auch Schrottbereich möglich sein. Es bietet sich an, diese Anpassungen an Indizes festzumachen. Hier vom Dienstleister über mehrere Jahre feste Erlöse zu erwarten, führt dazu, dass dieser eine Spekulation auf z. B. den Papier- oder Metallpreis machen muss und das bei Vertragslaufzeiten von z. B. 3 Jahren. Bei der Eigenkapitalquote der meisten kommunalen und privaten Entsorgungsunternehmen kann diese Vorgabe zum Ruin führen, da selbst bei Rückabsicherung über eine Papierfabrik oder Stahlwerk, die Verträge bei der momentanen Wirtschaftskrise durch Wegfall der Vertragsgrundlage, durch Insolvenz elf. ausfallen können. Da die Dualen Systeme jährlich mit ihren Lizenznehmern verhandeln und die Kommune die Gebühren einmal im Jahr zu überprüfen hat, sollte es nach meiner Ansicht bei einem Mehrjahresvertrag gerechtfertigt sein, die Erlöse bzw. Kosten, die der Dienstleister nicht beeinflussen kann, wie z. B. Dieselpreis, Metall-/Papiererlöse etc., über Indizes anpassen zu können.

Im Bezug auf die Dualen System habe ich, wie oben bereits erwähnt, den Bilanzvergleich beigelegt. Die Zahlen basieren auf den Veröffentlichungen im elektronischen Bundesanzeiger und entsprechen leider nicht immer dem aktuellsten Stand. Aufgrund unserer Marktkenntnis gehen wir davon aus, dass in 2007 fast kein Duales System einen Jahresüberschuss nach Steuern ausweisen kann. Allein die OSO GmbH macht eine Ausnahme, da sie noch alte laufende Lizenznehmerverträge hat, die sich noch nicht im Wettbewerb behaupten mussten. Außerdem konnte die OSD GmbH noch Rückstellungen nutzen, die in der Vergangenheit gebildet worden sind und so nicht gänzlich benötigt wurden. Bei einer Insolvenz eines der Dualen Systeme mit einem Marktanteil von z. B. 10 % ist es nicht möglich, die Einsammlung der gelben Gefäße zu stoppen. Daher ist es aus meiner Sicht zwingend notwendig, ähnlich wie im Bankenbereich ein System der Ausfallsicherung zu schaffen, welches auch bei der Insolvenz eines der Dualen Systeme die kontinuierliche Abholung der lizenzierten LVP-Mengen gewährleistet.

Im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl und die Gedanken, die sich jede Partei zum Sinn einzelner Verordnungen macht, ist auch zu prüfen, wie hoch wirklich der Anteil der Rohstoffe ist, die im Kreislauf nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz wiederverwertet werden und nicht als Reduktionsmaterial im Stahlwerk oder als einmalig genutzter Zaunpfahl dem Kreislauf entzogen werden. Glas, Papier, Metall und Bioabfälle lassen sich verwerten. Das aufwendige Recycling von Kunststoffabfällen und damit die gesamten Dualen Systeme sind - solange Öl woanders noch zur Energieerzeugung genutzt wird - dann gerechtfertigt, wenn ein großer Anteil werkstofflich zu einem Regranulat recycelt und somit auch mehrfach recycelt! wird. Sollten der werkstoffliche Anteil und Wiege scheine aufgrund der vielfältigen Systeme erst nach Jahren geprüft werden, droht der Branche das gleiche Ungemach wie den zahlreichen Deponien und MBA-Anlagen , bei denen erst nach Jahren festgestellt wird, dass falsche Stoffe dort angeliefert worden sind. In der Regel werden diese Deponien oder Anlagen von kommunalen oder privaten Unternehmen betrieben, die dann für die Verfehlungen nicht mehr zahlen können. Der Markt wird weiter ruiniert.

Da wir in Deutschland immer führend waren im Bereich der Umwelttechnologie und im Bereich der Erfassung und Sortierung, haben wir als deutsche Branche in der Regel immer zuerst für Anfangsfehler bezahlen müssen, die sich auch bei den deutschen kommunalen wie privaten Entsorgungsunternehmen in den Zahlen widergespiegelt haben. Insofern ist wichtig, dass bei Bekanntwerden von Fehlentwicklungen (keine Kontrolle, Verwertungsquote, Überkapazität elf.), diese sofort transparent gemacht werden, insbesondere auch durch Ihr Ministerium.

Wie man der Kopie meines Vortrages anlässlich der Berliner Abfallwirtschafts- und Energiekonferenz im Januar 2008 entnehmen kann, wird den Zahlen, die nur durch ein Unternehmen vorgelegt werden, nicht immer vertraut. Erst wenn Jahre, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. der NABU oder das Prognos Institut eine Studie zu den Überkapazitäten im Verbrennungsbereich veröffentlichen, kommt es zu Reaktionen, die dann schon zu spät sind.

Aus diesem Grund wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie anlässlich der nächsten LAGA-Sitzung die Themen Indizes, Ausschreibungen, Bürgschaften bei Dualen Systemen zur Leistungserfüllung elf. auf die Agenda setzen.

Ich habe mir erlaubt. eine Kopie dieses Briefes an Frau Opphard (VKS), Herrn Raith (BDE), Herrn Dr. Cosson (BDSV), Herrn Spohn (ITAD), Herrn Grundmann (ASA) und Herrn Rehbock (bvse) zu versenden, so dass die vorgenannten Themen u. U. in die nächste Diskussion mit den Verbänden einfließen können.

Aufgrund der aktuellen Lage und der bevorstehenden DSD-Ausschreibungen sowie der möglichen Positionierung der einzelnen Parteien zum Kreislaufwirtschaftsgesetz und verschiedenen anderen Verordnungen eilt die Zeit, bevor die gesamte Branche (kommunal wie privat) und ganze Verordnungen in Frage gestellt werden .

Aus dem beigelegten Bilanzvergleich ist bereits abzulesen, dass die Zahlen einiger Wettbewerber für 2007 um zwei Drittel und teils bis zu 90 % eingebrochen sind. Wenn man dann noch in der Zeitung lesen kann, dass ein Großunternehmen, das zur Top Ten der Entsorgungsunternehmen gehört, eine Lohnabsenkung um 15 % und mehr fordert, um nicht in die Insolvenz zu gehen, zeigt sich der dringende Handlungsbedarf.

Im Vergleich zu anderen Unternehmen ergibt sich für uns als Unternehmen mit Eigenkapital und einer relativen Ergebnisstärke ausgestattet in der derzeitigen Krise vielleicht die eine oder andere Chance. Da es aber um die Glaubwürdigkeit einer Branche und deren Handeln bei steigenden oder sinkenden Rohstoffpreisen aber auch um den Anteil dessen geht, was wirklich verwertet wird, habe ich mich dazu entschlossen, diesen Brief so zu schreiben. Die Brisanz innerhalb der Kreislaufwirtschaftsbranche kann sehr gut aus der anliegenden Insolvenzliste gelesen werden. Gerade die erste Seite der Aufstellung führt Unternehmen auf, die im Bereich der Dualen Systeme entsorgt haben, zum Teil sogar mehr als 1 Million Einwohner. Es handelt sich also nicht nur um Kleinstunternehmen, die aufgrund von Fehlinvestitionen bei Überkapazitäten bzw. fehlender Kontrolle von Behörden (Einhaltung TASi, werkstoffliches Recycling, Lizenzmengenerlöse, Wiegescheinhandel) sowie falsch angelegter Ausschreibungen (fehlende Indexanpassungen, fehlende Regionalilät, fehlende Bürgschaften der Dualen Systeme etc.) ihre Vollkosten nicht mehr erwirtschaften.

Wettbewerbskartensatz-Marktanteile

Wettbewerber-Kennzahlenvergleich 2006 / 2007 (International)
Wettbewerber-Kennzahlenvergleich 2007 (national)

Umsatz- und Ergebnisentwicklung des DSD
Bilanzvergleich Vertragspartner Duale Systeme
Insolvenzen / Konkurse von deutschen Unternehmen aus der Entsorgungs- und Verbrennungsbranche sowie dem Anlagenbau

Vortrag Ludger Rethmann
Überkapazität im Hausmüll – und Sonderabfallverbrennungsmarkt
- Strategie der REMONDIS AG & Co. KG –

Deutliche Überkapazitäten bei Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoffanlagen erwartet

erschienen am: 2009-04-06 im europaticker